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06.07.2022

„Wir brauchen neue Denkansätze“

Wie können wir nachhaltiger leben? TV-Moderator und Physiker Ranga Yogeshwar über die Chance, sich als Gesellschaft und Unternehmen globalen Herausforderungen zu stellen.

Das Thema Nachhaltigkeit spielt global und für uns als Molkerei eine große Rolle. Verbraucherwünsche decken sich nicht immer mit dem, was sie im Supermarkt vorfinden und bereit sind zu zahlen. Wer sind die Konsumenten?

Ranga Yogeshwar:Wenn wir auf der Straße fragen: Erklär mir, was Nachhaltigkeit ist, käme etwas Diffuses dabei raus. Die einen sagen, dass es weit mehr ist als der Klimawandel. Die anderen rätseln, ob es etwas mit Umwelt zu tun hat. Diese Unklarheit zeigt, dass das Thema bei vielen nicht die allererste Priorität hat. Und das, obwohl wir schon lange über unsere Verhältnisse leben. Der globale Ressourcenverbrauch ist gigantisch und stellt nicht mehr sicher, dass Folgegenerationen das Leben noch so genießen können wie wir. Als Konsumenten wollen wir, dass es uns an nichts fehlt, trotzdem aber ein gutes Gewissen haben. Wir sind großgeworden in einer Welt, in der Reichtum und Besitz wichtig waren und stehen nun vor moralischen Fragen: Ist steigender Wohlstand das Ziel? Oder geht es darum, wie viel CO2 man in die Luft pusten kann, um glücklich zu sein? Der Konsument ist zwiegespalten.

Integrierter Geschäftsbericht 2021
2021 war ein Jahr der vielen Fortschritte. In unserem diesjährigen Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht sprechen wir ausführlich darüber, wo wir stehen, wohin die Reise geht und welchen Herausforderungen wir uns noch stellen müssen – unter anderem mit prominenten Gästen.

Und in welche Richtung schlägt das Pendel?

Ranga Yogeshwar: Ich hoffe, in Richtung Einsicht. Dazu muss sich der eigene Fokus ändern. Technologische Optimierung war bisher das Credo für ökonomischen Erfolg, auch für mich als Wissenschaftler. Doch wie wollen wir Technologie in Zukunft und zu welchem Zweck einsetzen? Es geht nicht um eine Verzichtserklärung auf Wohlstand, sondern um eine Änderung des Blickwinkels und einen Gewinn an Lebensqualität. Ein Beispiel: Vor Corona bin ich für zig Meetings nach Berlin geflogen, habe meine Zeit in Zügen oder Warteräumen verplempert. Heute mach ich vieles digital und mein CO2 ­Fußabdruck ist dramatisch geschrumpft. Wir müssen innovativ sein und schauen, welche Optionen sich positiv für uns und den Erdball auswirken.

 

Wir kommen von einer Krise in die nächste. Wird das unser Bewusstsein verändern?

Ranga Yogeshwar: Möglicherweise. Aber das Entscheidende ist: Das Bewusstsein muss sich nicht nur national, sondern global verändern. Und das ist schwerer, weil sich manche Länder jetzt erst den wirtschaftlichen Luxus erlauben können, der für uns schon lange selbstverständlich ist. Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit handeln, aber andererseits auch begreifen, dass es je nach Kultur und Land unterschiedliche Ziele gibt. Sonst fangen wir an, den Rest der Welt zu missionieren. Wenn wir allerdings selbst nichts tun, dauert der Wandel zu lange und die Auswirkungen werden immer deutlicher.

Gesellschaftlich sind wir zwiegespalten. Wie weit hat sich das Thema Nachhaltigkeit in der Industrie durchgesetzt?

Ranga Yogeshwar: Hier merke ich leider auch noch widersprüchliches Verhalten. Ein Beispiel: Ich bekomme nach 170.000 Flugmeilen Bonuspunkte von meiner Airline. Das ist absurd! Die Airline müsste mich ohrfeigen und sagen: „Hör auf, das ist zu umweltschädlich, mach was anderes oder deine Flüge werden ab jetzt richtig teuer“. Aber das läuft nicht konform mit den ökonomischen Zielen der Firmen. Hier die Balance zu finden, ist die wahre Kunst.

Kann man unsere Ökonomie überhaupt so verändern, dass Unternehmen auf die Reduzierung von Konsum setzen?

Ranga Yogeshwar: Klar ist: Unseren Lebensstil können nicht alle Erdenbürger imitieren, dafür reichen die Ressourcen nicht aus. Wir brauchen neue Denkansätze. Bisher fußte Wachstum auf materiellen Ressourcen. Wertschöpfung wird in Zukunft aber anders stattfinden. Die reichsten Unternehmen produzieren heute eher Software, also Gedanken, und nicht Produkte. Sie liefern eher Denkanstöße und geben nicht die Tonarten der Welt an. Da liegen Ansätze einer neuen Art unternehmerisch zu denken.

Dennoch werden wir auch weiterhin handfeste Produkte herstellen.

Ranga Yogeshwar: Und dafür brauchen wir nicht zuletzt klimaschonende Energie. Hier hat die Technologie bewirkt, dass etwa Fotovoltaikzellen heute viel einsatzfähiger sind als noch vor einem Jahrzehnt. Diese regenerative Energieform ist deutlich günstiger als Kohle oder Atomstrom. Ein Umdenken in der Wirtschaft und eine Reform der Energiebeschaffung werden die größten Bestandteile des Wandels sein.

 

Die Milchbranche steht stark in der Kritik: Ein Glas Kuhmilch entspricht der CO2-Bilanz von sechs Minuten Online-Streaming. Das Streaming hingegen wird kaum kritisiert.

Ranga Yogeshwar: Naja, ich bemerke schon, dass die Energieentwicklung für die Digitalisierung kritisiert wird. Auch hier entstehen ja neue Denkansätze. Wie Serverfarmen zum Beispiel auf Island implementiert werden, wo es relativ kühle Temperaturen gibt, die die Wärmeentwicklung der Rechner reduzieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten Server nicht mehr in Deutschland oder den USA haben, sondern in Ländern, wo die Bedingungen optimal sind.

"Ein Umdenken in der Wirtschaft und eine Reform der Energiebeschaffung werden die größten Bestandteile des Wandels sein."

Ranga Yogeshwar

Unser Eindruck als Molkerei ist, dass Konsum generell selektiv hinterfragt wird. Volle Supermarktregale mit nachhaltigen Produkten sind selbstverständlich. Doch vor dem Hintergrund von Krisen sind einwandfreie Lieferketten nicht mehr selbstverständlich.

Ranga Yogeshwar: Ja, wir haben heute eine ganz spezielle Vorstellung davon, wie etwas sein muss, damit es richtig ist. Diese müssen wir hinterfragen und anpassen. Beispiel Bioprodukte: Die müssen am liebsten alle handgestrickt sein. Ein Hightechbetrieb in der Milchbranche ist aber nicht der Bauernhof auf der Verpackung, wo die Hühner idyllisch vor Kuhwiesen picken. Ich habe in meiner Kindheit oft auf einem kleinen Bauernhof in Luxemburg geholfen. Die acht Kühe waren in einem stockdunklen Stall untergebracht und auch sonst hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sich pudelwohl fühlten. In der Gesellschaft herrscht ein Wunschbild. Doch im Zentrum sollte jeder tiefer schauen und hinterfragen: Wie kann ein Tier ein würdiges Leben haben? Für die Kuh ist möglicherweise der Hightechbetrieb angenehmer als der schöne kleine Bauernhof mit dem dunklen Stall.

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