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20.12.2022

Absoluter Verzicht ist nicht nötig.

Um Milch und Milchalternativen ist eine echte Kontroverse entstanden. Doch es geht nicht um die Wahl zwischen gut oder böse. Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach über die gängigsten Mythen.

Tierische Lebensmittel haben einen viel höheren Wasserfußabdruck als pflanzliche.

Generell gilt, egal ob Tier oder Pflanze, der Wasserfußabdruck wird umso größer, je stärker ein Lebensmittel verarbeitet ist, weil mehr Rohstoffe in das Endprodukt eingebracht werden müssen. Das Wasser zur Erzeugung dieser Rohstoffe „konzentriert“ sich in den Berechnungen der Ökobilanzierung des Endprodukts. Tierische Lebensmittel schneiden dabei nicht automatisch schlechter ab als pflanzliche, zumal es darauf ankommt, wo das Lebensmittel erzeugt wurde. Solange genug Niederschlag fällt, das so genannte grüne Wasser, muss zum Beispiel nicht künstlich bewässert werden und das senkt den Frischwasserverbrauch. Was die deutsche Kuhmilch betrifft, muss diese mit drei bis 22 Litern Wasserverbrauch auf dem Produktionsweg nicht zwingend hinter der pflanzlichen Alternative – oder Hülsenfrüchten und Pflanzenölen – zurückstehen. Was den laut nationaler Verzehrstudie durchschnittlichen täglichen Verzehr eines Glases mit rund 100 Milliliter Kuhmilch in Deutschland angeht, können wir uns alternativ auch einmal mehr oder weniger die Hände waschen, mehr Wasser steckt dort auch nicht drin.

Milchalternativen verhindern Tierleid, schonen Umwelt und Klima.

Der Gedanke, Milch zu ersetzen ist nicht neu. Schon 1893 wurde in Deutschland die erste „vegetabile Kindermilch“ hergestellt, die aus Mandeln, Nüssen und Zucker hergestellt war. Allerdings: weder in der Zusammensetzung noch im Nährwert oder den Verarbeitungsmöglichkeiten waren die pflanzlichen Produkte echte Alternativen. Nur die Herstellung benötigte keine Kühe. Das ist dann auch das schlagende Argument für Menschen, die sich vegan ernähren und somit vollständig auf tierische Lebensmittel verzichten. Die Milcherzeugung ist nicht zwingend mit Tierleid verbunden. Ein weiterer Vorteil: Wiederkäuer stehen nicht in Nahrungskonkurrenz mit uns Menschen, da sie Gras verdauen können. Was das Klima betrifft, trägt Methan aus Kuhmägen laut einer Neubewertung durch die Universität Oxford bei gleichbleibenden oder sinkenden Herdenbeständen auch nicht zum Fortschreiten der Erderwärmung bei, da dieses Methan Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes ist. Milcherzeugung kann somit ein Baustein einer regenerativen Landwirtschaft sein, die auch das Klima schützt.

Vegane Alternativen werden die Milch verdrängen.

Weltweit steigen wie beim Fleisch auch bei der Milch die Produktionsmengen. Vor allem in China steigt die Nachfrage. Der Anteil der Milchalternativen wächst für sich genommen zwar zweistellig und kommt weltweit sogar auf vier Prozent Marktanteil. Bezogen auf den Umsatz des gesamten Milchmarktes, liegt er aber in Deutschland immer noch unter einem Prozent. Auch wenn Milchalternativen eine lukrative Nische für manche Unternehmen sind, lassen sie sich nicht als Rohstoff für die Käseherstellung verwenden und können im Nährstoffprofil nicht mithalten. Eine langfristige Koexistenz beider Produkte ist eher wahrscheinlich.

„Milch und Milchprodukte tragen laut nationaler Verzehrstudie zwischen 10 und 50 % der täglichen Zufuhr der meisten Nährstoffe bei.“

Wir konsumieren zu viele Milchprodukte – das ist ungesund.

Wir essen in Deutschland pro Tag etwa 255 Gramm Milch und Milchprodukte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt sogar bis zu 310 Gramm. Die Menge von 250 Gramm Milch steckt zum Beispiel in einem Viertelliter Trinkmilch, 250 Gramm Joghurt oder 25 Gramm Hartkäse. Milch und Milchprodukte tragen laut nationaler Verzehrstudie zwischen 10 und 50 Prozent der täglichen Zufuhr der meisten Nährstoffe bei, das nützt der Gesundheit mehr, als dass es schaden könnte.

Es braucht eine klare Anleitung zu einer nachhaltigen, gesunden, klimaschonenden Ernährung.

Wir haben in Deutschland noch Potential zur Optimierung der Ernährung, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Laut der Planetary Health Diet, die die Gesundheit der Menschen und des Planeten sicherstellen soll, auch wenn einmal 10 Milliarden Menschen auf der Welt leben, sähe unsere Ernährung in Deutschland so aus: Den Fleischkonsum halbieren, etwas weniger hochverarbeitete Getreide- und Milchprodukte, weniger Zucker sowie abgefüllte Getränke. Dafür mehr Gemüse und Hülsenfrüchte. Absoluter Verzicht ist nicht notwendig.

Dr. Malte Rubach

Der Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach hat nach Stationen in Gießen, San Diego und Madison im Bereich der Kaffeeforschung an der Technischen Universität München promoviert. Er ist ein gefragter Experte, wenn es rund um die Themen Lebensmittel, Ernährung, Nachhaltigkeit und Innovation geht. Seine Arbeiten wurden in internationalen Fachzeitschriften und Fachbüchern veröffentlicht sowie in Publikumsmedien wie der The New York Times und der Folha de S. Paulo. Als Buchautor schrieb er unter anderem „88 Ernährungsmythen – Was Sie über Ihr Essen wissen sollten“, erschienen bei Knaur MensSana HC.

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