Haben Sie schon Post vom Bundestag erhalten? Auch wenn Sie vielleicht nicht angeschrieben wurden, so ist der Brief zum Thema „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ trotzdem für uns alle von Interesse.
20.000 Menschen werden gerade bundesweit vom Parlament nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Sie dürfen sich für den Bürgerrat bewerben, der sich erstmalig mit den Fragen auseinandersetzt, inwieweit der Staat den Ernährungskreislauf steuern soll. Was stoppt die Nahrungsmitttelverschwendung? Sind mehr Steuern auf ungesunde Lebensmittel sinnvoll? Anfang nächsten Jahres soll der 160-köpfige Rat seine Handlungsempfehlungen dem Bundestag überreichen. Die Politik sucht das Feedback an unserem Esstisch. Denn Ernährung steht immer stärker für sich verändernde Werte und Wahrnehmungen. War früher alles besser? Vermutlich nicht, aber anders. Ich denke, dass wir früher gesellschaftlich eher materiell geprägt waren. Heute suchen wir in vielen Dingen einen tieferen Sinn. Früher kauften wir Autos mit Blick in die Technikkataloge, heute geht es mehr um Lifestyle, Fahrspaß und Aussehen. Sind die Älteren von uns noch geprägt vom Ansatz „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, drehen jüngere Generationen dieses Motto nahezu um. Salopp gesagt – wir kommen aus einer „Ding-Welt“ hin zu einer „Sinn-Welt.“ Die Suche nach einem Platz in dieser neuen Welt geht mit einer Haltung einher. Wir leben und essen bewusster, achten auf nachhaltige Produkte. Aber seien wir selbstkritisch: Wir kaufen regionale Äpfel, legen aber die Avocado aus Chile mit auf den Tisch. Wir fahren Rad statt Auto, bestellen aber Zahnbürsten im Online-Shop. Wir achten auf weniger Wasserverbrauch, noch weniger Plastikmüll und unseren CO2-Abdruck. Trotzdem steigen wir in den Flieger, der uns zum Ferienort bringt. Diese Widersprüchlichkeit ist Teil unserer Wirklichkeit.
Der Wunsch nach dem sozioökonomischen Wandel bringt neue Anforderungen an Wirtschaft und Gesellschaft mit sich. Tatsache ist, dass die Menschen in Deutschland 2022 etwa 900 Gramm weniger Trinkmilch pro Kopf und Jahr im Lebensmitteleinzelhandel eingekauft haben als im Coronajahr davor. Kritiker der Milch sprechen von einem „Rekordtief“, vergessen aber die Wucht der gestiegenen Inflation in der Haushaltskasse. Pflanzliche Alternativen entwickeln sich weiter, was Geschmack und Absatzmengen betrifft – aber als Ergänzung und nicht als Verdrängung. Wenden sich Verbraucher von der Milch und Milchprodukten ab? Nein. Wir kaufen im Lebensmitteleinzelhandel durchschnittlich etwa 46 Liter pro Jahr und Kopf, neun von zehn Verbrauchern haben Milchprodukte im Kühlschrank, und in einer Befragung im Januar 2023 glaubt über die Hälfte, auch in zehn Jahren noch überwiegend Kuhmilch zu verzehren. Alles also entspannt? Mitnichten – als Branche stellen wir uns den Anforderungen einer bewussten und gleichzeitig so ambivalenten Gesellschaft.
Verbraucher sind flexibler beim Kauf von tierischen und pflanzlichen Proteinen, zeigen sich weniger dogmatisch. Das bedeutet für die Mitarbeiter von DMK und die Landwirte, auf die Sinnsuche zu reagieren. Mit der Transformation der Lebensmittelindustrie – und in sämtlichen anderen Bereichen unseres Lebens. Für uns bei DMK gilt es, in einer so meinungsstarken Zeit, in der wir mit viel Gegenwind zu kämpfen haben, nicht gegen Wände anzubrüllen, das Handtuch zu werfen oder zu predigen. Es geht darum, Strömungen zu begreifen und darauf einzugehen – Lösungen zu entwickeln. „Veränderung kann auch Spaß machen“ – was für einige wie ein Witz klingt, ist die Antwort auf diese Herausforderungen. In sämtlichen Bereichen. Mitarbeiter gewinnen wir nicht, weil wir schon überall perfekt sind, aber wir müssen nach innen und außen aufklären, wo für wir stehen als DMK. Nachwuchskräfte fragen ganz schnell, weshalb gibt es DMK?
Unsere Antwort: Wir versorgen Millionen von Menschen mit hochwertigen Lebensmitteln. Danach kommen sofort Fragen beispielsweise zu Themen wie Klimawandel, Stallhaltung oder Tierwohl auf. Die beantworten wir mit unseren Nachhaltigkeitsinitiativen – an unseren Standorten und bei unseren Landwirten. Gelernt haben wir, dass es den Kandidaten gar nicht darum geht, dass wir perfekt sind, sondern eine Vision haben. Wir können unsere Zukunft gemeinsam fördern und haben es in der Hand, ob wir die Debatten aggressiv und dogmatisch führen – oder uns für eine komplexe und spannende Sinnsuche öffne, bei der wir gemeinsam an Lösungen feilen. Nur in diesem Bewusstsein kann in den landwirtschaftlichen Betrieben, Molkereien und Unternehmen schließlich die nächste Generation das Ruder übernehmen.
Auf Augenhöhe. Mit dem Zeitgeist. Und im Dialog.