Jakob Vicari ist Mit-Gründer und Geschäftsführer von tactile.news, einem Innovationslabor für neue Formate in Lüneburg. Er ist Pionier des Sensorjournalismus. Aktuell arbeitet tactile.news an einem Branchen-Projekt mit, in dem Sensoren die Milchwirtschaft transparenter machen.
Verbraucher:innen wollen sich gut informiert ernähren. Ich weiß, dass die Kaffeebohnen aus der Kooperative Kooperative Worka in Äthiopien kommt und kann meinen Barista fragen, was die Kaffeebauern dort für den Rohkaffee bekommen haben. Und natürlich weiß sie auch, welche Landwirte aus den Elbtalauen für die Milch im Flat White verantwortlich ist. Ich kann den Tracking-Code meiner Bioerbsen ins Smartphone eingeben und meinen Kindern die Felder im Elbtal zeigen, wo sie geerntet wurden. Das finde ich großartig. Ich kann Inma aus Cartaya in Spanien, die mir per Crowdfarming ihre Heidelbeeren geschickt hat, schreiben, wie gut sie uns schmecken. Ich kann aber auch Björn Friedrichsen auf Instagram dabei zuschauen, wie er im Eichdorfer Vielfaltsgarten meinen Fenchel pflanzt, den ich bald bei ihm auf dem Lüneburger Wochenmarkt kaufe (https://www.instagram.com/eichdorfervielfaltsgarten). Ich schätze das. Ich investiere gerne Zeit für diese Geschichten. Und ich halte mich für einen typischen Verbraucher. Aber Essen ist auch kompliziert geworden. Gleichzeitig fühle ich mich wie viele Menschen manchmal überfordert, wenn ich im Supermarkt vor dem Regal mit 30 Milchsorten stehe. Wie soll ich mich entscheiden, wenn ich einfach gute Milch von glücklichen Kühen kaufen möchte? Mir das zu zeigen, erfordert nicht nur aufwändige Recherchen von Journalist:innen, neue Formate. Das ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Erzeuger:innen. Sie müssen nicht nur offen und transparent arbeiten, Daten und Bilder teilen, sondern auch an den Schrauben drehen, die Verbraucher:innen wünschen. Ich glaube an ein Wirtschaften, das nicht zerstört, sondern verantwortungsvoll arbeitet, das bewusst auf das Klima schaut und für Wohlstand in der ganzen Lieferketten sorgt. So, wie immer mehr Landwirt:innen arbeiten.
Ich bin Wissenschaftsjournalist, aber beim Essen werde ich emotional. Ich esse nicht irgendeine Nudel, nicht irgendeine Schokolade, trinke nicht irgendeine Milch. Mein Reporterherz mag emotionale Berichterstattung: Ob das ein Fernsehkoch ist, eine Food-Influencerin, oder eine Kuh aus ihrer Sicht erzählt, wie wir das in unserem Projekt Superkühe gemacht haben. Ich liebe die Vielfalt des Journalismus: Daneben gibt es auch eine nie dagewesene Tiefe an Information. Es gibt ausführlichen, sachkundigen Wissenschaftsjournalismus über die Zukunft der Ernährung wie bei den Riffreportern (www.riffreporter.de) und konstruktiv-investigativen Journalismus, wie ihn Flip (https://letsflip.de/) macht. Für die Meisten ist Essen mehr als eine Instant-Flüssignahrung aus einer Plastikflasche ist. Es bewegt uns! Wie viele Wirtschaftszweige können das von sich sagen? Und ich finde es spannend, wie Technologie zu besserer Information beitragen kann.
Es sind vor allem mehr Bilder geworden. Ich bin mit der Sendung mit der Maus aufgewachsen und der Süddeutschen Zeitung am Küchentisch. Das hat mein Bild geprägt. Meine Kinder sehen Influencer auf Instagram und Dokus auf Youtube, sie haben die Weiten des Netzes unter ihren Fingerspitzen. Sie tauschen sich mit Freund:innen im Messenger aus. Sie sind teilweise besser informiert, haben aber ganz andere Bildwelten zu Ernährung im Kopf als ich. Als Journalist bin ich stets auf der Suche nach neuen Perspektiven auf die Welt. So geht es vielen Kolleg:innen. Sie sind dankbar für Offenheit und Transparenz auf Seiten der Hersteller, die es ihnen ermöglicht, ein vollständiges Bild zu zeichnen. Da gibt es viele positive Veränderungen zu entdecken. Es ist eben auch Aufgabe des Journalismus, kritisch hinzuschauen. Das sind dann Bilder, die man aushalten muss. Die prekären Zustände der Arbeiter:innen in der Fleischindustrie, die der Erntehelfer:innen in Spanien – sie haben sich auch geändert, weil Kolleg:innen berichtet haben.
Ich bin überzeugt: Verbraucher:innen sind für transparente Information dankbar. Sie schätzen Aufwand und Mut, um zum Beispiel einschätzen zu können, wie viel Arbeit in dem Käse vor ihnen steckt. So nehme ich die Reaktionen auf unsere Projekte wahr. Verbraucher:innen wollen den Käse vor sich verorten, die Zutaten vom Fruchtjoghurt kennen und wissen wie ihr Gemüse entsteht. Dabei hilft die Digitalisierung. Wie wir Videokonferenzen machen, so kann ich in der vernetzten Welt auch auf digitalen Wegen meinen Lebensmitteln begegnen. Dann ist es fast egal, ob ich beim regionalen Erzeuger meines Käses in Sammatz mit dem Fahrrad vorbeifahre oder über einen Trackingcode der Käsemacherin im Video begegnen kann. Verbraucher:innen erwarten keine perfekte Werbe-Welt, sie erwarten ehrliche und authentische Gespräche. Aus meiner Sicht sollte mir jede Landwirt:in, aber auch jeder Apfelbaum und jede Milchkuh einen Whatsapp- oder Signal-Account mitgeben, damit ich meine Fragen stellen kann. Da gibt es so viele erzählenswerte Geschichten.