Die Zukunft liegt in der Menschlichkeit
Wie begleiten Personaler den Wandel? Tijen Onaran, Unternehmerin und Expertin für Diversität, im Gespräch mit Ines Krummacker, Chief Human Resources Officer DMK.
Frau Onaran, Frau Krummacker, die Arbeitswelt ist im Wandel. Wie stellen Sie sich dem persönlich?

Tijen Onaran: Ich habe immer ein Hauptthema für jedes Jahr. An Silvester setze ich mich hin und überlege mir etwas ür die nächsten zwölf Monate. 2022 hatte ich mich für das Thema Fokus entschieden – dieses Jahr geht es um Mut.

Ines Krummacker: Ich mache das anders. Für jeden Monat nehme ich mir eine Challenge vor, die aber nicht über einen bestimmten Begriff definiert ist. Ich will mich testen, meine Komfortzone verlassen. Das ist wichtig, weil ich mich selbst weiterentwickeln will.

Bleiben wir bei der Unternehmenskultur. Welcher Punkt macht sich besonders bemerkbar?

Ines Krummacker: Fachkräftemangel ist sicherlich ein Schlagwort, das die Runde macht. Aber was hilft das Jammern? Damit macht man es sich zu einfach und das schafft keine Motivation. Es ist wichtig, sich zu überlegen, was verändert werden kann. Welche Zielgruppen haben für uns Relevanz? Wir müssen offen sein für Zuwanderung und Fachkräfte aus dem Ausland. Und oft sind es die kleinen Dinge, die man sich im Team überlegen sollte. Müssen wir unbedingt die Stelle nachbesetzen? Was können wir anders machen, sodass die Arbeit effizient verteilt wird? Prozesse müssen unbedingt digitaler werden und dafür ist ein Bewusstsein bei den Mitarbeitern zu schaffen. Da können die Alten von den Jungen lernen – umgekehrt profitieren sie von den erfahrenen Kollegen.

Was hat sich in den letzten Jahren auf dem Bewerbermarkt verändert?

Tijen Onaran: Wenn ich mich umschaue, egal, um welche Branche es sich handelt, stelle ich fest, dass sich die Motivation verändert hat. Nachwuchskräfte hinterfragen ihren Platz im Unternehmen und suchen sinnstiftende Aufgaben. Das ist für mich eine interessante Entwicklung, da ich das anders erlebt habe. In meiner Sozialisation stand immer Leistung im Zentrum – der berufliche Erfolg zeigt sich dann automatisch in Geld, Aufstieg, Status. Das funktioniert so nicht mehr. Die jungen Talente gehen zielgerichtet auf ihre Führungskraft zu und fordern andere Werte ein. Was bietest du mir? Ziehst du mich mit? Kannst du mich im visionären Denken bestärken?

 

Ines Krummacker: Die Ansprache hat sich verändert. Dafür haben wir zum Beispiel eine Bewerbungskampagne gestartet, die über den Messengerdienst WhatsApp läuft. So schaffen wir ein niederschwelliges Bewerbungsverfahren für die jungen Leute. Sie wollen es nicht so kompliziert und der Kontakt zu uns ist schneller da.

“„Junge Talente fordern von Führungskräften andere Werte ein."”

Tijen Onaran
Tijen Onaran
Was bedeutet die Entwicklung für Führungskräfte?

Ines Krummacker:Wir haben ein Führungskräfteprogramm entwickelt, das wir „From Boss to Coach“ nennen. Also weg vom hierarchischen Chef hin zum inspirierenden Leader. Es geht darum, dass wir unsere Führungskräfte für die Stärken von Mitarbeitern sensibilisieren, den Teamgeist zu ördern, um gemeinsame Ziele zu erreichen. In der Summe geht es darum, den unternehmerischen Erfolg auszubauen. Aber immer im Austausch auf Augenhöhe. Alles andere ist nicht mehr zeitgemäß.

Welche Rolle spielen gemischte Teams für die Wahrnehmung von Unternehmen?

Tijen Onaran: Für die Generation Vielfalt ist das immens wichtig. Arbeitnehmer mit einem Migrationshintergrund gehören zur neuen Normalität. Gelebte Diversität ist ein Schlüssel, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein – und heterogene Teams stehen für mehr Erfolg.

Ines Krummacker: Wir wollen noch viel bunter werden, das ist ein weiteres Ziel von DMK. Wir profitieren von unterschiedlichen Kulturen, Geschlechtern und den Lebenserfahrungen von Mitarbeitern mit einem Handicap. Wir fördern Integration, wenn beispielsweise Mitarbeiter aus anderen Ländern einen Paten bekommen, wie aktuell aus der Ukraine. Dadurch wollen wir erreichen, dass Geflüchtete unterschiedlicher Generationen schneller Anschluss finden und sich wohlfühlen. Das fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Unternehmen.

Wo sehen Sie die Frauen in den neuen Arbeitswelten?

Tijen Onaran: Bei den jungen Frauen stelle ich fest, dass sie stärker auf Rollenmodelle achten, die Privat- und Berufsleben unter den Hut bekommen. Meine Mutter ist das beste Vorbild für mich – sie hat zu mir gesagt: „Sei unabhängig und verdiene dein eigenes Geld!“ Das hat mir sehr geholfen. Je mehr ich auf mich hörte, desto stärker machte ich mich gegenüber äußeren Einflüssen. Meine starke Mutter und auch mein Vater, der totaler Feminist ist, haben mich geprägt. Ich bin oft Personen begegnet, die sich nur über ihren Job, ihre Position, ihre Wichtigkeit definieren. Was passiert ihnen, wenn das mal wegfällt?

Ines Krummacker:Ich finde es gut, dass es immer mehr Vorbilder für weibliche Führungskräfte gibt – und ich glaube, dass wir Frauen noch kraftvoller auftreten können.

Welche Schwerpunkte sehen Sie im Transformationsprozess?

Ines Krummacker: Die Zukunft liegt in der Menschlichkeit innerhalb des Unternehmens. Dabei begleiten wir unsere Mitarbeiter. Wir haben festgestellt, dass es eine neue Arbeitswelt gibt und uns der Wille antreibt, uns weiterzuentwickeln. Dafür müssen wir wieder lernen, einander zuzuhören – und schauen, wie sich persönliche Bedürfnisse und Arbeitskultur vereinen lassen.