„Es ist wie ein Erweckungserlebnis“

Das Konsumklima ist eingebrochen und zwar gleich zweimal. Das macht diese Krise so kompliziert. Es gab eine Panikphase in den drei Wochen vor dem Shutdown Mitte März. Das war die Zeit der Hamsterkäufe, als Produkte wie Toilettenpapier, Mehl und Teigwaren überproportional gekauft wurden. Das war die Zeit der großen Angst vor einer möglichen Ansteckung. Inzwischen sind wir hier in einer Anpassungsphase, das heißt, die Furcht um die körperliche Unversehrtheit ist nicht mehr so dominierend. Stattdessen wächst nun die Sorge um das finanzielle Wohl. Der wirtschaftliche Schock kommt mit Verzögerung.
Die Konsumbereitschaft der Menschen geht zurück, stattdessen steigt die Sparquote wieder leicht an. Das Einkaufsverhalten ändert sich grundlegend.
Zu Beginn der Coronavirus-Krise war das interessanterweise noch nicht zu beobachten. Das lag einerseits daran, dass sich viele Menschen regelrecht eingedeckt haben und dementsprechend oft einkaufen gegangen sind. In der Konsequenz waren einige Produkte aufgrund der Hamsterkäufe schlicht nicht mehr verfügbar. Die Konsumenten mussten dann für bestimmte Artikel noch andere Supermärkte aufsuchen. Das führte, rein quantitativ betrachtet, sogar zu höheren Frequenz der Einkäufe. Inzwischen sind alle Regale wieder gut gefüllt. In Zeiten der Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus rückt ein psychologischer Aspekt in den Vordergrund: Wo fühle ich mich sicher? Insgesamt lässt sich sagen: Die Menschen gehen seltener einkaufen als vor der Coronavirus-Krise. Dafür kaufen sie größere Mengen, der Trend geht wieder in Richtung eines klassischen Wocheneinkaufs. Das hat einen ganz einfachen Grund.
Wenn Schulen geschlossen sind, haben auch die Schulkantinen zu. Gleiches gilt für Firmen, die Restaurants waren lange zu. Das alles hat dazu geführt, dass die Menschen sich fast ausschließlich zu Hause versorgen. Wir können daher deutliche Umsatzzuwächse im Lebensmittelbereich feststellen. Bestimmte Kategorien, die sonst typischerweise „out of home“ genutzt werden, haben zudem sukzessive an Bedeutung gewonnen.
Zunächst einmal: Der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahr im zweistelligen Prozentbereich gestiegen, ja. Die Menschen versorgen sich öfter selbst, also kaufen sie auch mehr Lebensmittel. Interessant sind die Details. In der Panikphase vor dem Lockdown sind die Umsätze der Handelsmarken stärker gewachsen als die der etwas teureren Herstellermarken. Mit dem Beginn der Lockdowns hat sich das umgekehrt. Eine Erklärung dafür ist, dass die Menschen bereit sind, sich selbst etwas Gutes zu tun. Nach dem Motto: Wenn ich schon selbst kochen oder zu Hause essen muss, dann doch bitte hochwertig. Die Nachfrage nach Qualität und nachhaltig hergestellten Produkten wird durch die Pandemie nicht zurückgehen.
Die Menschen sparen durch wegfallende bzw. stark reduzierte Restaurantbesuche Geld ein, das sie bereit sind, in Lebensmittel zu investieren. Das ist eine gute Nachricht für alle Erzeuger. Der wirtschaftliche Schock erfolgt jedoch wie bereits erwähnt mit Verzögerung. Es könnte also gut sein, dass sich der Kampf um den Preis bestimmter Lebensmittelprodukte in den nächsten Monaten verschärfen wird, weil die Kaufkraft der Konsumenten stärker sinkt als ihre Qualitätsansprüche. Und noch etwas hat diese Krise gezeigt.
Es gibt eine starke Solidarität mit dem Nahbereich. Das betrifft einerseits soziale Aspekte wie zum Beispiel Freunde, die man nun über eine lange Zeit hinweg nicht treffen durfte. Andererseits gilt es aber auch für uns als Verbraucher. Diese Krise hat allen Menschen vor Augen geführt, wie sehr sich unser Konsumverhalten inzwischen über die reine Menge definiert. Das löst eine große Verunsicherung aus. Es ist wie ein Erweckungserlebnis: Bei vielen erwacht das Bewusstsein, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Immer mehr, immer weiter, immer günstiger – diese Steigerungslogik wird abgelöst von einer Entdeckungslogik und der Frage: Wie kann ich Gemeinschaften stärken, die wiederum mich widerstandsfähiger gegen solche Krisen machen? Dazu gehört ganz klar auch der Konsum von regionalen Produkten, selbst wenn die punktuell teurer sein mögen als die Artikel, die bisher gekauft wurden. Die Leute suchen ein Zukunftsnarrativ, eine optimistische Vorstellung, wie es nach Corona weitergehen kann. Wer dieses Bedürfnis der Menschen nach neuen, nachhaltigeren Formen des Zusammenlebens befriedigen kann, wird mittel- und langfristig erfolgreich sein.
Die Einführung der Maskenpflicht ist in dieser Hinsicht eine klare Zäsur. Dieses Symbol verstärkt das Gefühl, dass der Supermarkt ein Ort möglicher Ansteckung mit dem Virus ist, auch wenn die Infektionsraten gesunken sind. Die Händler haben ihre Sonderangebote und Displays deutlich reduziert. Es geht eher darum, möglichst zielgerichtet eine Grundversorgung herzustellen. Der Erlebnischarakter beim Einkaufen hat gelitten.
Der Onlinehandel auch im Lebensmittelbereich wird eine größere Rolle spielen als bisher. Wir erleben hier jetzt schon eine drastische Steigerung. Gleiches gilt für das bargeldlose Bezahlen. Das wird nicht wieder komplett verschwinden, auch wenn es eines Tages keine Ansteckungsgefahr mehr gibt. Ob dann auch noch weiterhin zwei Meter Abstand in der Warteschlange eingehalten werden, bezweifele ich. Körperliche Nähe ist überlebenswichtig für den Menschen, das gilt auch beim Einkaufen. Eines aber ist sicher: Wühltische wird es in Zukunft wohl kaum noch geben.