Teile Nord- und Zentraleuropas waren von April bis August von einer außergewöhnlichen Hitze und Trockenheit geplagt – Deutschland, Polen, Großbritannien, Skandinavien, Baltikum. In den betroffenen Regionen fielen bis zu 70 Prozent zu wenig Niederschlag, meldet der Deutsche Wetterdienst (DWD).
Stress für Tiere und Äcker
Der heiße Sommer 2018 machte dem Milchvieh arg zu schaffen, denn die optimale Umgebungstemperatur für Rinder liegt zwischen 5 und 15 Grad Celsius. Steigt die Temperatur über 25 Grad, fühlen sich die Tiere unwohl. Hinzu kommt ein erhöhter Energieverbrauch, um die eigene Körpertemperatur aufrechtzuerhalten.
Resultat: Die Tiere produzieren weniger Milch. Durch die ungewöhnlich lange Hitze- und Trockenperiode ist auch die Verfügbarkeit von Mais- und Grassilage empfindlich gestört. Die zweiten und dritten Grünlandschnitte von eigentlich vier bis fünf Schnitten pro Jahr fielen schon mager aus oder fielen total aus. Der Mais setzte vielerorts keine Kolben an, so dass die Ernte in manchen Regionen bereits Mitte August beginnen musste.
Foto © Polizei Thüringen
Weitere Ernteausfälle erwartet
Angesichts dieser alarmierenden Vorzeichen hat DMK im August eine Umfrage im Ehrenamt gemacht (Vertreter, Beiräte, Vorstände und Aufsichtsräte), um sich einen Überblick über mögliche Ernteausfälle und Konsequenzen für die Milchanlieferung zu verschaffen. Rund 90 Prozent der befragten DMK-Landwirte erwarten Ertragseinbußen bei der Ernte von Gras und Mais (siehe Folgeseite). Diese Einschätzungen bestätigt der jüngste Erntebericht 2018 der Bundesregierung. Demnach sinken die Ernteerträge bei Getreide am stärksten – gemessen am Durchschnitt der vergangenen drei Jahre – in Schleswig-Holstein (-31 Prozent), Brandenburg (-27 Prozent), Sachsen-Anhalt (-26 Prozent), Mecklenburg- Vorpommern (-25 Prozent) und Niedersachsen (-20 Prozent).
Wie die Futterlücke schließen?
Landwirte haben verschiedene Möglichkeiten, auf Futterknappheit zu reagieren. Sie können Futter zukaufen, Grundfutter durch Stroh ergänzen, Nebenprodukte wie Rübenpressschnitzel oder Kartoffelpülpe einkaufen oder den Tierbestand reduzieren. Rund 50 Prozent der von DMK befragten Mitglieder rechnen damit, die Futterlücke nicht durch eigene Vorräte schließen zu können und Maßnahmen ergreifen zu müssen.
Bestand reduzieren?
Die schwierigste unternehmerische Entscheidung für Milcherzeuger ist die Reduzierung des eigenen Tierbestandes. Dr. Klaus Hein, Geschäftsführer der Deutsches Milchkontor eG: „Wir gehen davon aus, dass unsere Landwirte alles daran setzen, die Futterlücke zu schließen. Die Reduzierung des Bestandes laktierender Kühe ist hier die letzte Lösung und stößt sicherlich auch an Grenzen. Zudem steigen die Futterkosten.“ Tatsächlich zeigen die Statistiken einen Anstieg der Schlachtzahlen für Kühe im Juli gegenüber dem Vorjahr. Dabei handelt es sich weitgehend um Kühe, die zur Weitermast vorgesehen sind oder um spätlaktierende und nicht trächtige Kühe. Auch werden überzählige Färsen zum Weitermelken in andere Bestände oder ins Ausland verkauft.
Sinkt die Milchmenge?
Für die Molkerei DMK Group bedeuten all diese Faktoren, dass sich die Rohstoffmenge für Magermilchpulver, Butter, Käse, Trinkmilch und Co. etwas verringert. Neben der Befragung wurde den Milcherzeugern auch die Möglichkeit zur konkreten Nachplanung der letzten vier Monate im Jahr 2018 via webmelker.de gegeben. Hiervon machten 1.100 Landwirte Gebrauch. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Landwirte den im September eigentlich normalen Rückgang der Milchmenge nicht sehen. Dies zeigen auch aktuelle Anlieferungszahlen, die die Folgen durch Dürreschäden derzeit nicht widerspiegeln. Bei allem Frust über Ernte und Wetter ist auch klar: Für Milcherzeuger hängt nicht alles an einer Ernte. Für sie ist der monatliche Milchpreis wichtig. In den Verhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) verfolgt DMK das klare Ziel, die Situation an der Erzeugerfront im Milchpreis entsprechend gespiegelt zu sehen. DMK-Geschäftsführer Dr. Klaus Hein: „Wir sind uns der angespannten Lage auf den Höfen bewusst und setzen daher alles daran, Erlösverbesserungen am Markt auch direkt unseren Mitgliedern zukommen zu lassen.“
Viel Sonne, kaum Regen – der Zeitraum April bis August 2018 war der wärmste und sonnenscheinreichste sowie auch einer der niederschlagsärmsten seit Beginn regelmäßiger Messungen anno 1881. Der Deutsche Wetterdienst meldete weiter: Es war vor allem trocken. Mit rund 130 Litern pro Quadratmeter (l/m²) fielen nur 54 Prozent des Regen-Solls von 239 l/m². „Alles vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein sollte“, meldete Astronaut Alexander Gerst aus der Raumstation ISS. Nur 1911 war der Sommer noch trockener (124 l/m²). Hauptleidtragende: Land- und Forstwirtschaft. Wiesen und Felder verdorrten, Ernte in Milliardenhöhe ging verloren, Flüsse trockneten aus, es kam zu verheerenden Waldbränden. Sie zerstörten bei Siegburg Gebäude und bei Potsdam über 200 Hektar Wald. Werden die Sommer jetzt immer so? Wissenschaftler sehen dafür Gründe, und zwar über dem Nordpol. Dort würden Luftströme wärmer und langsamer und sorgten so für länger andauernde extreme Wetterlagen über Europa. „Hoch- und Tiefdruckgebiete bleiben dadurch oft länger an einer Stelle, das Wetter ist weniger wechselhaft“, erklärt Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst. Das sei ein Trend seit Jahren.
Wie extrem verändert sich das Klima? Was bedeutet das für die Agrarwirtschaft?
Sicher ist nur: Die Herausforderungen für die Landwirte in den nächsten Jahrzehnten sind riesig: 2050 müssen zehn Milliarden Menschen auf der Erde ernährt werden. „Daher muss die Landwirtschaft produktiver werden und mehr Ernte aus jedem Tropfen und Hektar herausholen“, analysiert die Weltbank, aber „ohne die Kosten für die Umwelt zu erhöhen, welche derzeit mit Intensiv-Landwirtschaft verbunden sind“. Die Produktivität erhöhen und klimaneutral die Umwelt schonen – dafür werden biologische und technologische Innovationen nötig sein. Eine Weltbank-Hochrechnung zeigt:Werden die Äcker weltweit bis 2050 weiter so bewirtschaftet wie heute, wird die landwirtschaftliche Produktivität durch den Klimawandel in den meisten Ländern sinken.
Was können Milcherzeuger kurzfristig bei Hitze für ihr Milchvieh tun?
Prof. Jürgen Hummel: Kurzfristig lässt sich über ausreichende Luftbewegung im Stall einiges bewirken. Im Extremfall kann man auch an Wasserverneblungsanlagen denken. Auch die Wahl des Untergrunds beeinflusst die Wärmeabfuhr. Bereits beim Bau eines Stalls gibt es einige Punkte zu beachten wie die vorherrschende Windrichtung.
„Als Gesellschaft müssen wir den Klimawandel sehr ernst nehmen!"
Professor Jürgen Hummel
Was können Landwirte mittelfristig auf dem Acker oder bei der Aufzucht tun?
Beim Futterbau lässt sich vieles optimieren. Der eine oder andere Landwirt wird als Konsequenz des letzten Sommers sicher über den Einsatz von Beregnung nachdenken. Wenn man noch einen Schritt weiter gehen will, wäre ein verstärkter Einsatz von gegen Trockenheit resistenten Leguminosen sinnvoll. Auch für die Tiere gilt, dass man in Zukunft mehr auf temperaturtolerante Tiere züchten wird.
Ihr Fazit des Sommers 2018 als Wissenschaftler?
Als Gesellschaft müssen wir den Klimawandel sehr ernst nehmen und mit den uns möglichen Mitteln gegensteuern. Eine Hoffnung ist, dass ein Sommer wie 2018 zumindest dazu gut war, der Gesellschaft vor Augen zu führen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln keine völlige Selbstverständlichkeit ist.
Die Landwirtschaftsministerin, über die 340-Millionen-Euro- Nothilfe: „Bei der Hilfe geht es ja auch um die Interessen der ganzen Bevölkerung. Darum, dass sich ganze Landstriche nicht verändern, dass es weiter regionale Produkte gibt.“
Stv. Vorsitzende der CDU/CSUBundestagsfraktion: „Die Familien auf den Höfen verdienen unsere Solidarität und Hilfe. Der Klimawandel hinterlässt auf den Höfen und Feldern seinen sichtbarsten Fußabdruck.“
Agrarpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag: „Eine Alternative wäre ein Fonds, in den die Landwirte einen Teil der EU-Agrarsubventionen freiwillig einzahlen. In Krisenfällen würden diese Landwirte dann auch eine Ausschüttung erhalten.“