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28.04.2020

Der Konsument - Was die Kunden wirklich wollen

Wenn Hans-Georg Häusel über den typischen Konsumenten spricht, fallen wenig Komplimente: Verwöhnt sei er und wählerisch, dazu träge und denkfaul sowieso. Häusel muss es wissen, er forscht als Psychologe seit Jahrzehnten zur Entwicklung des Konumverhaltens im deutschen Handel. So kompliziert wie heute war es noch nie.

Dr. Hans-Georg Häusel

Dr. Hans-Georg Häusel ist Diplom-Psychologe und zählt international zu den führenden Experten in der Marketing-, Verkaufs- und Management - Hirnforschung. Er ist Autor vieler Wirtschaftsbestseller. Sein Buch „Brain View – Warum Kunden kaufen“ wurde 2010 zum besten deutschen Marketing-Buch und von einer internationalen Jury zu einem der 100 besten Wirtschaftsbücher aller Zeiten gewählt.

Das Jahr 2020 ist geprägt von gegenläufigen Trends.

Besonders deutlich werden die an der Supermarktkasse. Einerseits legen die Käufer nach eigener Auskunft großen Wert auf nachhaltige und ökologisch hergestellte Produkte. Gleichzeitig fehlt häufig die Bereitschaft, dafür mehr zu bezahlen. Dabei wäre, noch so ein Widerspruch, genug Geld dafür vorhanden. In 42 Prozent (Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung) der deutschen Haushalte dominiert das Gefühl, sich fast alles leisten zu können, in den meisten europäischen Nationen sind die Zahlen ähnlich. Ein historischer Höchstwert, allen Konjunktursorgen zum Trotz. Trotzdem bleibt der Konsument ein widersprüchliches Wesen, zumindest auf den ersten Blick.

„Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist“, sagt Wissenschaftler Häusel: „Einkaufsentscheidungen, gerade mit Blick auf Alltagsprodukte wie Milcherzeugnisse, sind häufig gar keine echten Entscheidungen. Wir sprechen stattdessen vom sogenannten habitualisierten Kauf.“ Mit anderen Worten: Viele Einkäufer gehen mit hehren Ansprüchen in den Supermarkt hinein, proklamieren für sich ein besonderes Bewusstsein für Tierwohl oder Nachhaltigkeit. Doch wenn sie hinauskommen, haben sie in der Regel doch wieder die gleichen Produkte gekauft wie immer. „Je älter der Mensch wird, desto mehr Gewohnheiten baut er auf“, erklärt der 68-Jährige: „In der Funktionsweise unseres Gehirns ist das Unterbewusste stärker als unser Bewusstes.“

„Je älter der Mensch wird, desto mehr Gewohnheiten baut er auf“

Dr. Hans-Georg Häusel

Rund 60 Prozent der Bevölkerung kaufen laut Häusel nach diesem Prinzip ein: Sie wollen die Produkte, von denen sie wissen, dass sie ihnen schmecken. Sie stehen idealerweise am gleichen Platz im Regal, sehen genauso aus wie beim letzten Einkauf und kosten auch genauso viel: „Geld auszugeben ist für unser Gehirn ein schmerzhafter Prozess“, erklärt Häusel: „Deswegen sind Preiserhöhungen so schwierig.“ Ansonsten: Gewohnheitstier durch und durch. Die Herausforderung für die Lebensmittelindustrie entsteht wegen der anderen 40 Prozent der Einkäufer.

Diese Bevölkerungsgruppe nennt Häusel „erlebnisorientiert“. Diese Menschen sind jünger als die habitualisierten Einkäufer und erwarten von den Herstellern immer neue Produkte, neues Design, neue Experimente. Das explosionsartige Wachstum des Angebots in den vergangenen 20 Jahren habe nicht nur dazu geführt, dass Kunden eine breite Auswahl inzwischen gewöhnt sind. Viele erwarten auch wie selbstverständlich permanent Neuerungen im Sortiment. Das macht es für Anbieter immer komplexer, konkrete Zielgruppen für die unterschiedlichen Produkte zu identifizieren. „Die Habitualisierung eines Käufers ist ein Prozess“, sagt Häusel: „Erst wenn ein Käufer ein Produkt fünf- bis zehnmal gekauft hat, kann man von einer echten Bindung sprechen.“ Dieser Entwicklung ist nur eine natürliche Grenze gesetzt: die Größe des Supermarktregals.

Für jeden Artikel, der neu ins Sortiment aufgenommen wird, muss über kurz oder lang ein anderer weichen. Handelt es sich dabei um ein habitualisiertes Produkt, sei das für den Konsumenten eben schmerzhaft.

Ein ähnlicher Widerspruch findet sich auch bei der konkreten Auswahl der gekauften Lebensmittel. Einerseits trenden vegetarische und vegane Produkte seit Jahren, allein 2019 stieg der Umsatz mit entsprechenden Artikeln um 17 Prozent. Andererseits kann keine Rede vom großen VeggieTrend sein. Wie ist das möglich?

Lediglich sieben Prozent der Haushalte ernähren sich vegetarisch, vegan sogar nur zwei Prozent. Den meisten Einkäufern geht es bei der Frage, ob sie tierische Produkte zu sich nehmen, nicht um ein Entweder-Oder. Sie wollen sich gar nicht komplett vegetarisch oder vegan ernähren, für sie steht etwas anderes im Vordergrund. „Veggie ist eine weiblich-hedonistisch und großstädtisch geprägte Konsumvariante, die ein Stück weit das eigene Gewissen beruhigt“, sagt Häusel: „Ein solcher Vorreiter verlangt nach bestimmten Produktsegmenten. Die wird es auch immer geben. Aber unser gesamtes Konsumverhalten wird dadurch nicht umstürzen. Es ist eine Evolution, keine Revolution.“ Einfacher wird der Umgang mit dem Konsumenten trotzdem nicht werdenuf“

„Geld auszugeben ist für unser Gehirn ein schmerzhafter Prozess“

Dr. Hans-Georg Häusel

Zahlen und Fakten zum Kaufverhalten der Menschen

  • Um 17 Prozent stieg im Jahr 2019 der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten im LEH (Lebensmitteleinzelhandel). vor allem dank jüngeren Käuferinnen und Käufer. Insgesamt liegt der Marktanteil jedoch im einstelligen Prozentbereich.
  • 42 Prozent der deutschen Haushalte haben laut einer repräsentativen Umfrage das Gefühl, sich beim Einkaufen alles leisten zu können.
  • 5– 10x: So oft muss ein Konsument einen bestimmten Artikel kaufen, damit von einer sogenannten Habitualisierung (Gewohnheit) gesprochen werden kann.
  • 60 Prozent der Einkäufer kaufen am liebsten habitualisierte Produkte ein, also Artikel, die sie aus der Vergangenheit bereits gut kennen.
  • Nur sieben Prozent der Haushalte ernähren sich laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) vegetarisch. Der Anteil der veganen Haushalte ist sogar noch geringer. Laut Umfrage setzen nur zwei Prozent auf Ernährung komplett ohne tierische Produkte.
  • Die Ausbreitung des Coronavirus setzt das durchschnittliche Kaufverhalten der Konsumenten außer Kraft. Europaweit wird aus Angst vor Lieferengpässen gehamstert. Der Umsatz mit Desinfektionsmitteln etwa stieg in den Niederlanden ab Mitte Februar um 238 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019. Im besonders stark betroffenen Norden Italiens explodierte mit dem Ausbruch des Virus der Verkauf von Fleisch-Konserven: Plus 496 Prozent. Begehrtestes Gut in Deutschland ist Toilettenpapier, der Absatz vervierfachte sich mit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung.

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