Dr. Hans-Georg Häusel ist Diplom-Psychologe und zählt international zu den führenden Experten in der Marketing-, Verkaufs- und Management - Hirnforschung. Er ist Autor vieler Wirtschaftsbestseller. Sein Buch „Brain View – Warum Kunden kaufen“ wurde 2010 zum besten deutschen Marketing-Buch und von einer internationalen Jury zu einem der 100 besten Wirtschaftsbücher aller Zeiten gewählt.
Besonders deutlich werden die an der Supermarktkasse. Einerseits legen die Käufer nach eigener Auskunft großen Wert auf nachhaltige und ökologisch hergestellte Produkte. Gleichzeitig fehlt häufig die Bereitschaft, dafür mehr zu bezahlen. Dabei wäre, noch so ein Widerspruch, genug Geld dafür vorhanden. In 42 Prozent (Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung) der deutschen Haushalte dominiert das Gefühl, sich fast alles leisten zu können, in den meisten europäischen Nationen sind die Zahlen ähnlich. Ein historischer Höchstwert, allen Konjunktursorgen zum Trotz. Trotzdem bleibt der Konsument ein widersprüchliches Wesen, zumindest auf den ersten Blick.
„Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist“, sagt Wissenschaftler Häusel: „Einkaufsentscheidungen, gerade mit Blick auf Alltagsprodukte wie Milcherzeugnisse, sind häufig gar keine echten Entscheidungen. Wir sprechen stattdessen vom sogenannten habitualisierten Kauf.“ Mit anderen Worten: Viele Einkäufer gehen mit hehren Ansprüchen in den Supermarkt hinein, proklamieren für sich ein besonderes Bewusstsein für Tierwohl oder Nachhaltigkeit. Doch wenn sie hinauskommen, haben sie in der Regel doch wieder die gleichen Produkte gekauft wie immer. „Je älter der Mensch wird, desto mehr Gewohnheiten baut er auf“, erklärt der 68-Jährige: „In der Funktionsweise unseres Gehirns ist das Unterbewusste stärker als unser Bewusstes.“
„Je älter der Mensch wird, desto mehr Gewohnheiten baut er auf“
Dr. Hans-Georg Häusel
Rund 60 Prozent der Bevölkerung kaufen laut Häusel nach diesem Prinzip ein: Sie wollen die Produkte, von denen sie wissen, dass sie ihnen schmecken. Sie stehen idealerweise am gleichen Platz im Regal, sehen genauso aus wie beim letzten Einkauf und kosten auch genauso viel: „Geld auszugeben ist für unser Gehirn ein schmerzhafter Prozess“, erklärt Häusel: „Deswegen sind Preiserhöhungen so schwierig.“ Ansonsten: Gewohnheitstier durch und durch. Die Herausforderung für die Lebensmittelindustrie entsteht wegen der anderen 40 Prozent der Einkäufer.
Diese Bevölkerungsgruppe nennt Häusel „erlebnisorientiert“. Diese Menschen sind jünger als die habitualisierten Einkäufer und erwarten von den Herstellern immer neue Produkte, neues Design, neue Experimente. Das explosionsartige Wachstum des Angebots in den vergangenen 20 Jahren habe nicht nur dazu geführt, dass Kunden eine breite Auswahl inzwischen gewöhnt sind. Viele erwarten auch wie selbstverständlich permanent Neuerungen im Sortiment. Das macht es für Anbieter immer komplexer, konkrete Zielgruppen für die unterschiedlichen Produkte zu identifizieren. „Die Habitualisierung eines Käufers ist ein Prozess“, sagt Häusel: „Erst wenn ein Käufer ein Produkt fünf- bis zehnmal gekauft hat, kann man von einer echten Bindung sprechen.“ Dieser Entwicklung ist nur eine natürliche Grenze gesetzt: die Größe des Supermarktregals.
Für jeden Artikel, der neu ins Sortiment aufgenommen wird, muss über kurz oder lang ein anderer weichen. Handelt es sich dabei um ein habitualisiertes Produkt, sei das für den Konsumenten eben schmerzhaft.
Ein ähnlicher Widerspruch findet sich auch bei der konkreten Auswahl der gekauften Lebensmittel. Einerseits trenden vegetarische und vegane Produkte seit Jahren, allein 2019 stieg der Umsatz mit entsprechenden Artikeln um 17 Prozent. Andererseits kann keine Rede vom großen VeggieTrend sein. Wie ist das möglich?
Lediglich sieben Prozent der Haushalte ernähren sich vegetarisch, vegan sogar nur zwei Prozent. Den meisten Einkäufern geht es bei der Frage, ob sie tierische Produkte zu sich nehmen, nicht um ein Entweder-Oder. Sie wollen sich gar nicht komplett vegetarisch oder vegan ernähren, für sie steht etwas anderes im Vordergrund. „Veggie ist eine weiblich-hedonistisch und großstädtisch geprägte Konsumvariante, die ein Stück weit das eigene Gewissen beruhigt“, sagt Häusel: „Ein solcher Vorreiter verlangt nach bestimmten Produktsegmenten. Die wird es auch immer geben. Aber unser gesamtes Konsumverhalten wird dadurch nicht umstürzen. Es ist eine Evolution, keine Revolution.“ Einfacher wird der Umgang mit dem Konsumenten trotzdem nicht werdenuf“
„Geld auszugeben ist für unser Gehirn ein schmerzhafter Prozess“
Dr. Hans-Georg Häusel